Dass in diesem Jahr etwas grundlegend anders ist als die letzten Jahre, merke ich, als mir die Strahlen der ersten Märzsonne ins Gesicht scheinen. Auf einmal wird mir bewusst, dass ich diesen Winter nicht mehr wie die letzten Jahre – erschlagen von der arbeitsreichen Gartensaison – in einen tiefen Winterschlaf gefallen bin. Gut so, denke ich, da spare ich mir das Aufwachen und verneige mich innerlich vor der Göttin Routine. Der Start ins Frühjahr geht somit gleich unaufgeregter als üblich von der Hand. Zu Gute kommt dem Ablauf sicher, dass sich der Verpächter Bauer Mette bereit erklärt hat, die Kleesaaten im Frühjahr zu erledigen. Nachdem ich jahrelang mit dem alten Deutz und dem Porsche-Diesel-Traktor ohne Verdeck in der kalten Märzluft quer durch Berlin gefahren bin, ist es mir um diese Traktorfahrten gar nicht schade.
Offene Fragen zum Saisonbeginn bleiben trotzdem einige: Wird der Klee wohl dieses Jahr keimen? Wie kommt wohl die Bewässerungsanlage aus der Winterpause? Interessant: Diesmal sind es ein paar abgenagte Spulen an den Magnetventilen, die uns zu schaffen machen. Was den blöden Wühlmäusen noch alles einfällt? Ab Mitte April wie immer der ernste Blick aufs Wetterradar. Wird dieses Jahr der statistisch längst überfällige Spätfrost die erste Pflanzung erwischen?
Das Pflanzen Ende April verläuft konzentriert und geht ohne größere Schwierigkeiten über die Bühne. Aufregend sind die letzten Aprilwochen trotzdem jedes Mal. Denn gerade angesichts meterhoher Jungpflanzenkistenstapel mit Tausenden Setzlingen wird einem bewusst, wie sehr jede einzelne Pflanze schon von ihrem zukünftigen Besitzer erwartet wird. Da darf kein Stapel umkippen.
Obwohl das Wetter im Frühjahr recht anständig ist, bleibt es hinter den Kulissen trotzdem zuweilen sehr aufregend. Dana erlebt den Super-GAU bei der Kundenverwaltung, als plötzlich ein paar Datensätze in der Excel-Tabelle fehlen. Gelöscht beim Übertragen. Schnell ist alles wieder aus dem letzten Backup rekonstruiert. Die Befürchtung, es könnte trotzdem ein Bauerngärtner beim Saisonbeginn leer ausgehen, lässt die oberste Kundenverwalterin jedoch Nächte lang schlecht schlafen. Später im Sommer wird sie sich gegenüber ihrem sparsamen Chef durchsetzten und der Betrieb steckt endlich Geld in ein echtes Kundenverwaltungsprogramm.
Anfang Mai öffnet sich der Vorhang. Zum Saisonbeginn blüht der Löwenzahn in der Wiese. Wer bei der Veranstaltung wen zu festtäglichen Gefühlen anstachelt bleibt unklar: Die frisch belaubten Bäume die Sonne (die auch dieses Jahr wieder unseren Saisonstart bescheinen will), die Gemüsepflanzen die Menschen (weil sie noch so klein und liebenswert sind) oder die tobenden Kinder den ganzen Rest. Sicher ist, dass dieser Tag für die meisten Beteiligten mehr ist, als schnöder Alltag.
Bei der Gemüseauswahl warten dieses Frühjahr einige Neuerungen auf die Gärtner. Handgesäte Bohnen, gepflanzter Spinat, Pastinaken für alle und mehr Vielfalt bei den Kürbissen. Spannend ist es auch für uns immer wieder, diesem ersten Auftakt der bauerngarten-Sonate beizuwohnen. Dem Aussäen kommt trotz fortschrittlichster Acker-Technik ein gewisser Zauber nicht abhanden. Angemessen freudig begrüßt werden deswegen die ersten Keimblätter der Karotten und selbst der zunächst lückig geglaubte Mais macht sich besser als gedacht. Zwei der Neuerungen gehen leider mächtig in die Hose: Der gepflanzte Spinat ist total verlaust und die handgerollten Kürbis-Seedballs wollen nicht so recht keimen. Ärgerlich, aber so ist das Gärtnerleben. Im Gegenzug kommen die Bohnen richtig schön aus der Erde und das, trotz eines feuchten und kühlen Mai-Wetters.
Der Junianfang ist geprägt von Üppigkeit und den ersten Ernten: Salat, Mangold und die Kräuter. Frühkartoffeln und Zuckererbsen schaffen wir dieses Mal erst im Juli. Zeitgleich schlägt das Wetter um und es beginnt ein kolossaler Jahrhundertsommer. Im Laufe des Sommers trocknen die Böden in der Region bis auf 70 cm aus und die Kreisregner im bauerngarten laufen die Nächte durch. Die Zucchini, Paprika und Co freuen sich über die tropischen Temperaturen. Als die Bewässerung in den Havelmathen kurz ausfällt, weil eine Maus das Pumpenkabel annagt (sie hat es sicher bereut), ist der Schaden glücklicherweise so schnell behoben, dass es fast nicht auffällt.
Erwähnenswert wären noch die Gurken und Zwiebeln dieses Jahr. Beide sind so schön wie nie. Probleme hingegen machen vielerorts die Petersilie und die Physalis. Beide welken im Sommer vorzeitig und gehen plötzlich ein. Von Kollegen erfahren wir später, dass es mit der Petersilie fast allen so erging dieses Jahr. Zum Erntefest Mitte August feiern wir wie üblich das erfolgreiche Gartenjahr mit der großen Gemüsepfanne. In familiärer Runde (es sind gerade Sommerferien) knabbern wir Maiskolben vom Grill und trinken Bier an dem immer noch viel zu heißen Feuer.
Die letzten beiden Monate des Gartenjahrs vergehen wie im Flug. Anfang Oktober macht eine Frostwarnung mächtig Aufruhr und hektisch werden die letzten Bohnen, Kürbisse und Zucchini in Sicherheit gebracht. Zum traditionellen Resteplündern zeigen sich die herbstlichen Gärten noch einmal von ihrer besten Seite. Als dann Anfang November der Deutz-Traktor kommt und die Pflanzenreste samt Maisstrünken und Erbsenlaub kleinhäckselt, kann auch einem gestandenen Bauern etwas rührselig werden. Macht nix, sage ich zum alten Deutz, das nächste Frühjahr kommt schneller als du glaubst.